Die Nürnberger Vitas GmbH betreibt eine Plattform für virtuelle Telefonassistenten.
Der Fachkräftemangel wirkt sich längst auch in Arztpraxen aus: Das Telefon ist nicht besetzt und Patienten können keinen Termin vereinbaren oder ein neues Rezept besorgen. „Hier kommen unser virtueller Assistent Conrad und seine Kolleginnen ins Spiel“, sagt Tobias Bäumler, Mitgründer der Vitas GmbH in Nürnberg und dort zuständig für das operative Geschäft. Das System nimmt eingehende Anrufe automatisiert entgegen und stellt alle relevanten Informationen strukturiert zur Verfügung, etwa Name, Geburtsdatum oder Anliegen. Die KI kann zudem einfache Fragen beantworten oder an eine echte Person durchstellen, Tickets erstellen sowie Kalendereinträge vornehmen. Das Ergebnis des Gesprächs wird innerhalb der Plattform übersichtlich aufbereitet. Außerdem wird der Anruf aufgezeichnet, sodass die Praxismitarbeiter bei Unklarheiten das Gespräch nachhören können.
Vom Wettbewerb hebt sich die Plattform, die als Online-Service angeboten wird, laut Bäumler vor allem durch seine Individualisierbarkeit und Einfachheit ab: Die Kunden können den digitalen Assistenten dank Baukasten-System ohne Programmierkenntnisse einrichten, in Betrieb nehmen oder Änderungen durchführen. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal: Vitas ist Bäumler zufolge der einzige Anbieter, dessen Lösung ohne ausländische Dritt-Software wie Google oder Amazon Web Services verwendet werden kann. „Das macht uns besonders für das Gesundheitswesen interessant, wo mit hochsensiblen Patientendaten gearbeitet wird.“ Auch das Rechenzentrum steht in Deutschland, sodass keine Daten ins Ausland abfließen. Zu den etwa 400 Kunden – derzeit vor allem aus den deutschsprachigen Ländern – gehören Einzelunternehmen, Konzerne, Arztpraxen, Klinikgruppen und Behörden.
Im März 2019 gründeten die Informatiker Thomas Abend und René Straub sowie der Betriebswirt Tobias Bäumler die Vitas GmbH. Schon vorher hatten sich die beiden Programmierer mit Künstlicher Intelligenz (KI) in der Kundenkommunikation beschäftigt. Sie kündigten schließlich ihre Jobs, um sich auf die Entwicklung des Vitas-Sprachassistenten zu konzentrieren. Bei einer Veranstaltung im Gründungszentrum „Zollhof Tech Incubator“ lernten sie Tobias Bäumler kennen, der nun für die kaufmännische Seite des Start-ups zuständig ist. Den Start finanzierten die Gründer zunächst mit eigenen Mitteln. Für ihren Business-Plan erhielten sie dann ein Exist-Gründungsstipendium, das Existenzgründungen aus der Wissenschaft fördert, und später eine Förderung „Start?Zuschuss!“ der Initiative „Gründerland Bayern“. Ab 2020 generierte Vitas erste Umsätze, die inzwischen im siebenstelligen Bereich liegen. Mittlerweile sind drei große regionale Unternehmen als „Business Angels“ und weitere Investoren eingestiegen.
Anfangs war ein Assistent für die Gastronomie geplant, der im Februar 2020 auch auf den Markt kam. Wegen Corona orientierten sich die Gründer aber kurzfristig um: Sie passten den Gastronomie-Assistenten innerhalb von nur zweieinhalb Wochen so weit an, dass sie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung einen Sprachassistenten für Corona-FAQs zur Verfügung stellen konnten. Dieser war von April 2020 bis Juni 2021 unter der bundesweiten Rufnummer 116 117 im Einsatz. „Mit unserem Produkt konnten wir uns dabei gegen große Anbieter wie IBM durchsetzen“, sagt Bäumler. Seitdem ist das Unternehmen stark gewachsen: „Unser Ziel ist es, Marktführer von KI-Telefonassistenten im Gesundheitswesen und im Public Sector zu werden“. Heute gehören inklusive der Werkstudenten 29 Beschäftigte zum Vitas-Team, das noch weiter wachsen soll. Außerdem soll die Software internationalisiert werden: Derzeit testet das Start-up die Plattform mit 29 Sprachen.